Interview: “33 süße Rezepte aus der Vorratskammer” – Ein modernes Kochbuch für Krisenzeiten
Die Autorin Shermin Arif arbeitet als freie Journalistin und Texterin in Berlin und teilt zudem auf ihrem Foodblog “Der magische Kessel” schon seit 2009 Rezepte, Erfahrungen und Kochtipps mit ihren Leser*innen. Eigentlich arbeitete sie gerade an einem lang geplanten Halloween-Kochbuch, als ihr während des Lockdowns im März 2020 die Idee zu diesem Kochbuch kam, das sie sofort in die Tat umsetzte.
(Dieser Text stammt aus dem Jahr 2020.)
Wir haben Herbst 2020 und sehen einem weiteren Lockdown entgegen. Wie war es für dich Anfang des Jahres?
Plötzlich saß ich da mit einem vierjährigen Kind, meiner Arbeit im Homeoffice und die Welt drehte ein wenig durch. Neben Toilettenpapier, Nudeln und Hefe war beispielsweise auch Mehl plötzlich nicht mehr zu bekommen. Ich hörte von Leuten, die recht verzweifelt waren, weil sie nie selbst gekocht hatten und ohne Dinge wie die Kantine in der Firma oder Restaurants regelrecht aufgeschmissen waren. Andere sorgten sich, wie sie mit dem Geld auskommen sollten. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter tauchte wiederum der Hashtag #LockdownFood auf, wo Leute zeigten, was sie für einfache aber gute Dinge aus dem kochten, was sie da hatten. Das brachte mich auf die Idee, ein Koch- und Backbuch zu schreiben, das vor allem mit günstigen und gut lagerbaren Zutaten aus der Vorratskammer
auskommt. Auch um zu zeigen, dass man aus wenigem viel machen kann. Und mal ehrlich: Wir alle haben immer noch dringend was zum Versüßen benötigt.
Was für Rezepte finden sich im Buch?
Es sind alles erprobte Rezepte, die teils schon seit Jahren in meiner Familie sind. Aber natürlich sind hier auch neue Gerichte zu finden. Das Buch „33 süße Rezepte aus der Vorratskammer„* ist in verschiedene Kapitel eingeteilt: Kuchen, Kekse, Konfekt & Pralinen, Hauptgerichte, Aufstriche, Getränke und Gewürze. Es ist eine moderne Art von Küche, denn hier finden sich ganz traditionelle Rezepte mit Eiern und Butter Seite an Seite mit veganen Brownies, glutenfreien Mandelkeksen oder indischem Kokoskonfekt.
Und es gibt keine Zutaten, die “clean”, “fancy” oder “healthy” sind? Oder Superfoods?
Es ist Wohlfühlessen. Wie bei allem im Leben ist das Maß das Entscheidende. Meine Superfoods sind Butter, Mehl und Zucker. 🙂 Oder bei den veganen Rezepten Öl statt Butter. Es kamen fast nur Zutaten zum Einsatz, die eigentlich in jedem Discounter zu finden sind. Bei Ausnahmen nenne ich preisgünstige Alternativen. Bei den etwas exotischeren Zutaten wie Buchweizenmehl oder Kardamom habe ich darauf geachtet, dass zwei Rezepte mit diesen Inhaltsstoffen im Buch sind, damit sie mehrfach verwendet werden können.
Ist das Kochbuch für Familien geeignet?
Das Buch ist eigentlich für jede Süßnase geeignet. Für Erfahrene ebenso wie für Kochanfänger*innen. Aber ja, natürlich auch für Familien mit Kindern, diese kann man wunderbar mit einbinden. Ich bin seit März zuhause, arbeite im Homeoffice und betreue nebenbei ein vierjähriges Kind … dabei backen und kochen wir auch viel gemeinsam. Bei vielen Rezepten im Buch hat mein Kind mit viel Spaß geholfen Zutaten abzumessen und in den Schüsseln gerührt. Der Favorit sind dabei die Brownie Bites – da der Keksteig vegan ist, kann man ihn auch roh naschen.
Wie war die Arbeit an dem Buch? Wer hat geholfen?
Die Arbeit …? Puh, das war eine steile Lernkurve. Das Buch ist komplett allein von mir erstellt – von den Rezepten über die Fotos bis hin zum Satz von Text und Bildern und Covergestaltung. Drei Freundinnen haben wunderbarerweise den Text für mich lektoriert und mir abwechselnd den Kopf gewaschen, wenn ich mein Licht im Begleittext mal wieder vorauseilend unter den Scheffel gestellt habe … Insgesamt war es eine sehr spannende Arbeit, mit deutlich mehr Umfang als gedacht. Ich bin da vielleicht etwas blauäugig reingetappt und mit einem großen Erfahrungsschatz daraus hervorgegangen. Aber jetzt habe ich endgültig Blut geleckt und arbeite schon an zwei weiteren Kochbuchprojekten.
Wie teuer ist das Buch?
“33 süße Rezepte aus der Vorratskammer” kostet 12 €. Ich hätte es gerne niedrigpreisiger in den Verkauf gegeben – aber ich habe keinen großen Verlag mit Lagermöglichkeiten und Marketingmaschinerie hinter mir stehen, sondern gebe das Buch im Selbstverlag heraus. Ich habe gemerkt: Vielen ist nicht klar, wie das Konzept von BoD (Books on Demand), über die ich veröffentliche, funktioniert. Die Bücher liegen hier nicht auf Vorrat, sondern jedes Buch wird einzeln nach Bestellung gedruckt – das ist zwar durchaus flexibler, sorgt aber zum einen dafür, dass die Produktionskosten höher sind. Zum anderen bedeutet es, dass man das Buch erst nach einigen Tagen erhält – wir (und da nehme ich mich nicht aus) sind es heutzutage gewöhnt schon am nächsten Tag das ersehnte Druckwerk in den Händen zu halten.
Und warum Selbstverlag und kein “richtiger” Verlag?
Ich habe die letzten 15 Jahre als Rezensentin für ein Berliner Magazin gearbeitet und weiß, dass es immer etwas “Geschmäckle” hatte, im Selfpublishing-Verfahren ohne Verlag zu veröffentlichen. Aber das hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert. Ich habe mich absichtlich dagegen entschieden an einen Verlag heranzutreten. Im Selbstverlag konnte ich mir selbst und meinem Konzept treu bleiben. Ich behalte zudem alle Rechte an meinen Texten und muss mein Blog auch nicht leer räumen – allerdings habe ich so auch kein eingespieltes Team an Werbeleuten samt Kontakten, die alles für mich erledigen. Und ich verdiene deutlich weniger.
Was treibt Dich dann dazu an?
Mein natürlicher Redebedarf? 😅 Nein, im Ernst: Natürlich möchte ich gerne erfolgreich sein mit meinen Büchern. Wer nicht? Aber ich gebe mich keinen großen Illusionen hin, ich bin kein Yotam Ottolenghi. Ich möchte einfach Menschen da draußen erreichen, ihnen zeigen, wie man aus einfachen Zutaten ganz leicht etwas Köstliches herstellen kann. Das mag sich vielleicht komisch anhören, aber mir macht Kochen und Backen tatsächlich etwas die Seele leichter. Ich berühre Dinge mit meinen Händen, und zumindest über diese habe ich etwas Kontrolle – im Gegensatz zum Weltgeschehen. Ich bin überzeugt, dass ein guter Keks oder eine liebevoll selbstgemachter Schokoladentrüffel tatsächlich etwas Dunkelheit nehmen und das Leben etwas süßer und leichter machen kann.